Montag, 6. Juni 2016

Ehrenhafter Sex, teuflischer Sex


Ehrenhafter Sex, teuflischer Sex

Liest man eine Sittengeschichte über das Mittelalter, stellt sich einem ein sehr widersprüchliches Bild der Sexualmoral dar. Auf der einen Seite versuchte die Kirche vehement die Keuschheit ihrer Mitglieder durch zusetzten und die Fleischeslust als Sünde zu sehen. Viele unbescholtene Frauen
rückten durch die beginnende Inquisition ins Zwielicht und auf der anderen Seite trieben das Minnewesen, die Rittermoral sowie auch die öffentliche Prostitution ungeheure Blüten.


Rittermoral: der gesellschaftsfähige Ehebruch

Das ganze Feudalsystem des Frühmittelalters beruhte auf dem Prinzip der Treue: Lehenstreuegegenüber dem Lehnsherrn, eheliche Treue innerhalb der Familie. Doch unter gewissen Bedingungen und in bestimmten Schichten war der Treuebruch geradezu gesellschaftsfähig. Ein erfahrener Ritter hatte ebenso seine außerehelichen“ Erfahrungen“, ja musste sie sogar haben, um in die Rittergesellschaft zu bestehen. Gingen die Ritter jahrelang auf Kreuz- und Kriegszug war es ganz selbstverständlich, dass tausende von Kurtisanen die Züge begleiteten. Auf der anderen Seite wurde die hohe Minne gepflegt, wonach fahrende Ritter um die Gunst einer erwählten Hofherrin buhlten- mit dem sicheren Ziel, mit ihr ins Bett zu gehen. Sich eine höher gestellte“ Herzdame“ zu wählen, gehörte zum guten gesellschaftlichen Ton. Es wäre geradezu ehrenrührig gewesen, diese sexuellen Beziehungen mit Hexenkult oder Teufelei in Verbindung zu bringen. Die Kirche duldete diese ehebrecherischen Verhältnisse und unterstrich damit die gesellschaftliche Aussage der Minne: Höheren Schichten ist mehr erlaubt als niedrigen. Die Ehemoral lockert sich unter der Minneerotik. Als schließlich im Spätmittelalter sich das Feudalsystem auflöste, wandelte sich der Minnedienst in die so genannten Tunierkünste, bei denen nicht mehr die sexuelle Vereinigung das Ziel war, sondern eher der rituelle Gunstbeweis, wie einen Handschuh oder eine Feder er Burgherrin zu erlangen.

Liebesdiener, Ritterliebe

Ritterorden werden gegründet, die eine abstrakte Frauengestalt verehren. An den Europäischen Fürstentümern entstehen Liebeshöfe. Dort diskutierten ausschließlich Männer über die Liebe. Der Pariser Liebeshof zählte im Jahre 1400 sechshundert Mitglieder. Neben dem klassischen Frauendienst, nämlich Frauen zu verteidigen, werden Dichterlesungen und Bankette abgehalten und amoureuse Abenteuer besprochen. Diese frühen Männerclubs geben die Dekandenz des Adels wieder. Als sich allmählich die Pforten dieser Einrichtungen auch für Bürgerliche öffnen, versuchen diese zwar anfänglich mitzuhalten. Aber letztendlich erweist sich das Bürgertum als Bollwerk der Moral. In Gedanken ist der Ehebruch ganz schön, doch in der Realität verteidigte der bürgerliche Mann die Ehre seiner Frau weit strenger als jeder Schlossherr. Die Eifersucht tut ein Übriges und so kommt ein scheußliches Instrument zu Einsatz:
Während Geschäftsreisen oder Kriegszügen muss die Frau den Keuschheitsgürtel tragen.

Männer wachen über die Moral der Frauen

Das auch als Florentiner Gürtel bezeichnete Marterwerkzeug, das seinen gedanklichen Ursprung bei Homer hat, der es in seiner Odyssee beschrieb, setzte sich innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft durch und war im 15. Und 16. Jahrhundert in ganz Europa verbreitet. In Spanien hat sich der Keuschheitsgürtel bis ins 19. Jahrhundert halten. Die Männer fühlten sich sicherer, wenn sie ihren Sexualbesitz verschlossen wussten. Vielleicht stellte ja, so grausam es klang, der Keuschheitsgürtel auch eine Barriere dar, um den Teufel keine Chance zu geben? Deutlich sind nur die Kluften zu erkennen, die zwischen den Gesellschaften bestehen. Am ärgsten sind wie so oft die Armen dran, die weder durch besondere Standesethik noch durch mechanische Hindernisse einen moralischen Schutz genießen. Sie trifft die Hexenverfolgung auch als Erste.

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