Sonntag, 2. Juni 2024

Die Wurmlinger Kapelle St. Remigius

 Die Wurmlinger Kapelle St. Remigius - Baugeschichte

 

 


St. Remigius auf dem Berg wurde nach 1127 wohl nur deshalb Pfarrkirche, weil das Augustinerkloster Kreuzlingen damals die Verpflichtung übernehmen musste, für das Seelenheil des auf dem Berg begrabenen Hochadeligen zu sorgen. 

 


Wurmlingen wurde nun aus dem Pfarrverband mit Sülchen gelöst, zu dem es vorher gehört hatte, und St. Remigius wurde von Kreuzlingen zur neuen Pfarrkirche gemacht. Anders gesagt: St. Remigius war vor 1127 keine Pfarrkirche!

 

                                                                               1911

 

Die Vorgänge von 1127 konnten sogar die Folge gehabt haben, dass das Remigiuspatrozinium für die nunmehrige Pfarrkirche in Anlehnung an das Remigiuspatrozinium der ebenfalls 1127 an Kreuzlingen geschenkten Urpfarrkirche von Ehingen bei Rottenburg erst damals von Kreuzlingen auch für die Kapelle auf dem Berg gewählt wurde. 

 


Der Name des Kirchenpatrons St. Remigius für die Bergkirche wird übrigens erst 1688 erstmals erwähnt!

 


Hier stellt sich jetzt die Frage nach dem Alter dieses Gotteshauses. Archäologische Grabungen des Landesdenkmalamts in den Jahren 1962 und 1963 haben außer zahlreichen vor- und frühgeschichtlichen Funden von der frühen Bronzezeit bis zur Römerzeit - die eine kontinuierliche Besiedlung des Berges in vorchristlicher Zeit belegen - und mehreren Pfostenlöchern eines Holzbaus unbekannter Zweckbestimmung aus fränkisch-merowingischer Zeit vor allem eines erbracht: den Nachweis von drei steinernen Vorgängerbauten bzw. die Gewissheit über drei Bauperioden, die dem heutigen Bau vorausgingen.

 


Der erste Steinbau einer kleinen Kapelle mit halbrunder Apsis entstand sicher vor dem 12. Jahrhundert, vielleicht sogar schon vor der Jahrtausendwende. In diesem Gebäude befand sich das Stiftergrab, in dieses Gebäude wurde wohl um 1050/1100 - oder noch früher - der Wurmlinger Jahrtag gestiftet, von dem unten noch die Rede sein wird. 

 

 

Im ersten Viertel des 12. Jahrhunderts, noch vor dem Übergang an Kreuzlingen 1127, entstand ein neues, hochromanisches Gotteshaus, für das auch die östlich angefügte Krypta angelegt wurde, die unter dem Chor der heutigen Kapelle als sichtbarer Überrest dieses zweiten Gotteshauses erhalten blieb. 

 

 

In ihr befand sich bis um die Mitte des 16. Jahrhunderts, d. h. wohl bis zu den Instandsetzungsarbeiten von 1565, die Grabstätte des Stifters, dessen angeblicher Name "Anselm von Calw" zum ersten Mal 1468 in der urkundlichen Überlieferung erscheint.
Zu einem bis jetzt nicht naher bestimmbaren Zeitpunkt in der Periode der Gotik wurde der bestehende hochromanische Bau beträchtlich nach Westen verlängert. 

 

 

Die jetzige barocke Westwand der Kapelle bezeichnet auch den westlichen Abschluss ihres romanisch-gotischen Vorgängerbaus. Dieser besaß an seiner Westwand einen Turm, der auf einer Abbildung des 17. Jahrhunderts noch zu erkennen ist und dessen Fundamente 1962/63 ausgegraben werden konnten. 

 


Dieser romanisch-gotische Bau, damals noch de jure Pfarrkirche Wurmlingens, musste 1565 wegen baulicher Mangel instandgesetzt werden. Am 17. März 1644 fiel er einem Brand zum Opfer, der aus einem außer Kontrolle geratenen Wachtfeuer entstanden war.

 

 
 

Im Oktober 1687 wurde der Grundstein für einen Anbau an der Nordseite der Kapelle gelegt, in dem Sakristei und das "Priesterstüble" untergebracht waren.

 

 

Nachdem die Pfarrrechte, die seit 1127 de jure bei der Rernigiuskirche auf dem Berg waren, 1780 endgültig auf die St. Bricciuskapelle im Dorf übertragen wurden, hatte die Kapelle von Staats wegen eigentlich abgebrochen werden dürfen. Dazu kam es aber glücklicherweise nicht; sie diente fortan als Friedhofskapelle. 

 


Eine gründliche Instandsetzung des Kircheninnern im Geist des damaligen Historismus fand 1887 statt. Das große Erdbeben im November 1911 brachte die Nordwand des Chors zum Einsturz; auch die Krypta wurde erheblich beschädigt. Die Schäden konnten in der Folgezeit rasch behoben werden. Neben dem Friedhofseingang führt eine Tür in die Krypta.


 

Die Krypta ist der letzte Rest des hochromanischen Kapellenbaus aus dem ersten Viertel des 12. Jahrhunderts. Ihr Zweck war es, das Grab des Stifters aufzunehmen, dem spätere Überlieferung den Namen "Anselm von Calw" gab. 

 


Der Raum konnte ursprünglich nicht wie heute von Osten her betreten werden; die Grabungen von 1962/63 haben u. a. ergeben, dass der Zugang über einen Gang erfolgte, der mit westlich außerhalb der hochromanischen Kapelle liegenden Stufen begann und unter dem Kirchenschiff hindurch nach Osten in die Krypta führte. 


 

Bei späteren Umbauarbeiten wurde dieser „Obere Gang“ zugeschüttet, die Krypta bekam ihren heutigen Zugang von außen, von Osten her.

 


Bei den Grabungen von 1962/ 63 wurden, wie erwähnt, Teile des Mauerwerks eines vorromanischen Vorgängerbaus der Bergkapelle entdeckt. 

 



Hinter der Südwestecke der heutigen, romanischen Krypta wurde seinerzeit ein schmaler, gewölbter Raum freigelegt, der älter ist als die heutige Krypta und wohl zeitgleich mit dem „Oberen Gang“ entstanden sein wird und somit zu diesem vorromanischen Bauwerk gehören wird, dem ersten Sakralbau auf dem Wurmlinger Berg.

 

 

Vermutlich bei den Renovierungsarbeiten von 1565 wurde das Grab des Stifters, dessen Bedeutung in der Reformationszeit immer mehr in Vergessenheit geraten war, aus der Krypta entfernt.

 
 

Neuer Anziehungspunkt für diesen Raum wurde ein heiliges Grab, das, in Verbindung mit den 1686 erstmals errichteten Kreuzwegstationen am Weg zur Kapelle, wohl schon seit der Barockzeit bestand. Für 1875 ist die Aufstellung eines neuen Hl. Grabes belegt, von dem die Liegefigur des toten Christus im „Unteren Gang“ erhalten blieb. 

 

 

Die Darstellung Christi im Kerker (letztes Drittel des 17. Jahrhunderts, wohl von H. C. Amrein) über diesem Gang gehörte wahrscheinlich zur barocken Anlage.

 


 

Gedicht:
Ludwig Uhland

Die Kapelle
Droben stehet die Kapelle,
Schauet still ins Tal hinab.
Drunten singt bei Wies' und Quelle
Froh und hell der Hirtenknab'.

Traurig tönt das Glöcklein nieder,
Schauerlich der Leichenchor,
Stille sind die frohen Lieder,
Und der Knabe lauscht empor.

Droben bringt man sie zu Grabe,
Die sich freuten in dem Tal.
Hirtenknabe, Hirtenknabe!
Dir auch singt man dort einmal.

(1805)

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

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